Wissenschaft und Angelpraxis sind keine Konkurrenten. Denn beide Seiten verfolgen das gemeinsame Ziel, Gewässer und Fische zu schützen und für zukünftige Generationen erlebbar zu machen. Beispiele, wie beide Gruppen voneinander profitieren.
Ich verstehe nichts. Ihr redet nur Fachchinesisch. Mit diesen Worten stoppte unser Gegenüber unseren Redefluss. Wir, eine Gruppe fischender Gewässerökologen, waren an einem Treffen benachbarter Fischereivereine, um uns über die gemeinsame Bewirtschaftung unseres Flusses abzustimmen. Und zu den Mitgliedern zählte auch eine Handvoll von Gewässerökologen, die scheinbar eine andere Sprache sprechen als „die Anderen“. Trotz der „Unsitte“ der lateinischen Begriffsverwendung darf die Wissenschaft aber nicht in den Elfenbeinturm verbannt werden. Denn wir sitzen alle im selben Boot. Speziell im Bereich Fisch und Gewässer ergänzen sich Praxis und Forschung wunderbar.
Neue Erkenntnis: Enten transportieren Karpfeneier
Womit beschäftigen sich eigentlich Fischerei- bzw. Gewässerökologen? Die Themenfelder sind breit. Sie reichen von angewandten Fragestellungen bis hin zu Grundlagenforschung. Letzteres inkludiert etwa die Beschreibung der Zusammenhänge zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt. Eine jüngst publizierte Studie fand zum Beispiel heraus, dass Karpfen und Giebel neue Lebensräume besiedeln können, wenn Enten ihre Eier fressen und diese dann im neuen Gewässer ausscheiden.
Solche Studien tragen zu einem breiteren Verständnis von aquatischen Ökosystemen bei. Die angewandte Wissenschaft ist für Angler jedoch von direkterer Relevanz. Heiße Themenfelder sind hier etwa die nachhaltige Fischereibewirtschaftung, fischschonende Angelpraxis, Wiederansiedlung und Populationsunterstützung von gefährdeten Arten, Stärkung von Fischbeständen durch Revitalisierungsprojekte sowie die Forschung im Bereich Wasserkraft. Letzteres beinhaltet unter anderem die Wiederherstellung der Passierbarkeit von Querbauwerken, etwa durch Fischaufstiegshilfen, sowie die Sanierung von Wasserausleitungen durch erhöhte Restwassermengen.
„Küchenfenster“ kommt aus der Wissenschaft
Aus den Ergebnissen solcher Studien können oftmals direkt Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Untersuchungen zu Bewirtschaftungsfragen etwa liefern handfeste Informationen für die Erstellung von Fischereiregelungen – Stichwort Schonzeit und Mindestmaß. Bei letzterem ist das „Küchenfenster“, die selektive Entnahme von mittelgroßen Fischen, auf dem Vormarsch. Denn diese Regelung unterstützt einen natürlicheren Populationsaufbau, ermöglicht aber auch einen größeren Ausfang (Biomasse) und mehr kapitale Fische.
Auch die Wahl des Angelequipments, um die Drillzeit zu verkürzen und somit die Überlebenswahrscheinlichkeit von zurückgesetzten Fischen zu erhöhen, wird wissenschaftlich untersucht. Immer wieder finden sich auch Kuriositäten: Eine kürzlich erschienene Studie ging dem in Nordamerika verbreiteten Gerücht nach, dass Sodagetränke die Blutung von an den Kiemen verletzten Fischen schneller stoppen würde (was aber nicht der Fall ist).
Ein anderes Projekt zeigte, dass die Zählung von Fischen durch unerfahrene Schnorchler eine Alternative für Elektro-Fischbestandserhebungen in Forellenbächen sein kann. Mit der Schnorchelmethode haben Bewirtschafter ein einfaches und kostengünstiges Mittel zur Hand, die Entwicklung „ihrer“ Fischbestände selbst zu untersuchen.
Sterlet-Projekt an der Wiener Donau
In Wien wird der Sterlet-Wildbestand gestärkt. Da diese Störart in der Oberen Donau nur mehr vereinzelt anzutreffen ist, wurde eine Aufzuchtstation direkt am Flussufer gebaut. Über 75.000 Jungfische wurden so schon erfolgreich ausgewildert. Einige dieser Fische haben einen Tracking-Sender implantiert. Dadurch sollen sensible Lebensraumbereiche identifiziert werden, um die bedrohte Art besser schützen zu können.
Das LIFE Sterlet Projekt an der Donau bei Wien züchtet Sterlets und wildert sie danach aus. Bisher wurden 75.000 Jungfische in die Welt gesetzt. Foto: Norbert Novak.
Eine weitere erwähnenswerte Initiative ist das Projekt „Baggersee“ in Niedersachsen, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Universität und Anglerverband. Im Fokus steht die ökologische Aufwertung von Baggerseen durch die Schaffung von Strukturen wie die Ausformung von Flachwasserzonen oder Totholzeinbringungen. Unter wissenschaftlicher Begleitung wird untersucht, ob die Schaffung solcher Einstände den Fischbestand soweit stärken kann, dass gänzlich auf Besatz verzichtet werden kann.
Weniger Fischsterben bei Speicherkraftwerken
Obwohl viele Studienergebnisse direkt in den Gewässerschutz einfließen, passiert dies oftmals unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit, indem „lediglich“ Gesetze, Richtlinien oder Managementpläne adaptiert werden. Ein Beispiel dafür ist die ökologische Verbesserung von Speicherkraftwerken, die durch Schwall-Sunk-Betrieb dazu führen, dass Jungfische auf der Schotterbank liegen bleiben. Hier werden in Österreich Grenzwerte für die Pegelrückgangsrate, die in Laborversuchen bestimmt wurden, herangezogen, um die Effekte von verschiedenen Szenarien zu berechnen.
Ein weiteres Beispiel sind die flussabwärts gerichtete Fischwanderung und die damit verbundenen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf Fischpopulationen (denn viele Fische schwimmen durch die Turbinen flussabwärts, was tödlich enden kann). Durch eine Kombination von Labor- und Außenversuchen sowie Computersimulationen sollen Grundlagen für die Umsetzung von fischschützenden Maßnahmen an Wasserkraftwerken geschaffen werden.
Sollten Forschungserkenntnisse in der Maßnahmenplanung umgesetzt werden, erholen sich auch die Fischbestände wieder. Letztendlich profitieren natürlich wir Fischer davon. Trotzdem ergeht in diesem Sinne ein Appell an die Wissenschaft, Kernergebnisse über Soziale Medien oder Fischereimagazine an die Angler zu kommunizieren. Ein positives Beispiel ist der weit bekannte „Angelprofessor“ Robert Arlinghaus. Für seine Wissenschaftskommunikation, welche vom Anliegen getrieben ist, dass Forschung in der Praxis bei Anglern und Bewirtschaftern ankommt, hat er den „Communicator-Preis 2020“ erhalten. Auf seiner Website ifishman.de finden sich zentrale Botschaften in Form von YouTube-Videos und Comic Strips.
Citizen Science: Bürger als Wissenschaftler
Der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Angelpraxis ist aber keine Einbahnstraße. Unter dem Begriff „Citizen Science“ werden etwa Projekte zusammengefasst, die unter Mithilfe von oder komplett von interessierten Personen durchgeführt werden. Diese „Bürgerwissenschafler“ melden Beobachtungen, führen Messungen durch oder werten Daten aus.
Zum Beispiel mit der Smartphone-App „Barrier Tracker“. Damit können engagierte Naturliebhaber Wanderhindernisse in Flüssen lokalisieren und beschreiben. Mit diesen Daten soll die Zerstückelung europäischer Fließgewässer besser erfasst werden, um möglichst wirksame und effiziente Rückbaumaßnahmen durchführen zu können.
Über die Smartphone-App „Amber Barrier Tracker“ kann jeder Hindernisse eintragen und somit auch als Nicht-Wissenschaftler zum Projekt beitragen.
Ein weiteres Beispiel ist das zuvor erwähnte Sterlet Projekt in Wien. Dabei sind Donau-Angler dazu aufgefordert, Länge, Gewicht und Fangort von Stören bekannt zu geben. Diese Information soll helfen, mehr über diese geheimnisvollen Fische zu erfahren, um sie besser schützen zu können.
Mit vereinten Kräften
Viele Studien sprechen eine klare Botschaft: Zur Etablierung von Best-Practice-Lösungen, die wirklich beim Fisch ankommen, ist die Kooperation von Anglern und Wissenschaftlern essentiell. Angler sind „die Naturschützer an den Gewässern“, so der Fischereibiologe Arlinghaus. Und somit sind sie die „eigentlichen Akteure“ und „zentralen Spieler“ in vielen fischereilichen und gewässerökologischen Projekten.
Im Übrigen, was den zu Anfang angesprochen Stammtisch anging, ist momentan ein Projekt zum Schutz der Bachforelle in den Startlöchern. Gemeinsam wollen Fischer und Ökologen die Population der „Rotgetupften“, deren Zahlen zuletzt rapide abgenommen haben, genetisch untersuchen lassen und dem Bestand durch Eigennachzucht unter die Arme greifen.
Originalartikel publiziert im Fischer Trend Report 2021 von Fisch Ahoi.
Download PDF hier:
Hayes, D. (2021). Vom Elfenbeinturm ans Wasser. Fischer Trend Report 2021 (Austria edition), 2, 63-66.
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