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Writer's pictureDaniel S. Hayes

Vom Elfenbeinturm ans Wasser

Updated: Jan 3, 2023

Wissenschaft und Angelpraxis sind keine Konkurren­ten. Denn beide Seiten verfolgen das gemeinsame Ziel, Gewässer und Fische zu schützen und für zukünftige Generationen erlebbar zu machen. Beispiele, wie beide Gruppen voneinander profitieren.

 

Ich verstehe nichts. Ihr redet nur Fachchi­nesisch. Mit diesen Worten stoppte unser Gegenüber unseren Redefluss. Wir, eine Gruppe fischender Gewässerökologen, waren an einem Treffen benachbarter Fischereiver­eine, um uns über die gemeinsame Bewirt­schaftung unseres Flusses abzustimmen. Und zu den Mitgliedern zählte auch eine Handvoll von Gewässerökologen, die scheinbar eine andere Sprache sprechen als „die Anderen“. Trotz der „Unsitte“ der lateinischen Begriffs­verwendung darf die Wissenschaft aber nicht in den Elfenbeinturm verbannt werden. Denn wir sitzen alle im selben Boot. Speziell im Be­reich Fisch und Gewässer ergänzen sich Praxis und Forschung wunderbar.


Neue Erkenntnis: Enten transportieren Karpfeneier

Womit beschäftigen sich eigentlich Fischerei- bzw. Gewässerökologen? Die Themenfelder sind breit. Sie reichen von angewandten Fra­gestellungen bis hin zu Grundlagenforschung. Letzteres inkludiert etwa die Beschreibung der Zusammenhänge zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt. Eine jüngst publizierte Studie fand zum Beispiel heraus, dass Karpfen und Giebel neue Lebensräume besiedeln können, wenn Enten ihre Eier fressen und diese dann im neuen Gewässer ausscheiden.


Solche Studien tragen zu einem breite­ren Verständnis von aquatischen Ökosyste­men bei. Die angewandte Wissenschaft ist für Angler jedoch von direkterer Relevanz. Heiße Themenfelder sind hier etwa die nach­haltige Fischereibewirtschaftung, fischscho­nende Angelpraxis, Wiederansiedlung und Populationsunterstützung von gefährdeten Arten, Stärkung von Fischbeständen durch Revitalisierungsprojekte sowie die Forschung im Bereich Wasserkraft. Letzteres beinhaltet unter anderem die Wiederherstellung der Pas­sierbarkeit von Querbauwerken, etwa durch Fischaufstiegshilfen, sowie die Sanierung von Wasserausleitungen durch erhöhte Restwas­sermengen.


„Küchenfenster“ kommt aus der Wissenschaft

Aus den Ergebnissen solcher Studien kön­nen oftmals direkt Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Untersuchungen zu Be­wirtschaftungsfragen etwa liefern handfeste Informationen für die Erstellung von Fische­reiregelungen – Stichwort Schonzeit und Mindestmaß. Bei letzterem ist das „Küchen­fenster“, die selektive Entnahme von mittel­großen Fischen, auf dem Vormarsch. Denn diese Regelung unterstützt einen natürliche­ren Populationsaufbau, ermöglicht aber auch einen größeren Ausfang (Biomasse) und mehr kapitale Fische.


Auch die Wahl des Angelequipments, um die Drillzeit zu verkürzen und somit die Über­lebenswahrscheinlichkeit von zurückgesetz­ten Fischen zu erhöhen, wird wissenschaft­lich untersucht. Immer wieder finden sich auch Kuriositäten: Eine kürzlich erschienene Studie ging dem in Nordamerika verbreiteten Gerücht nach, dass Sodagetränke die Blutung von an den Kiemen verletzten Fischen schnel­ler stoppen würde (was aber nicht der Fall ist).


Ein anderes Projekt zeigte, dass die Zählung von Fischen durch unerfahrene Schnorchler eine Alternative für Elektro-Fischbestands­erhebungen in Forellenbächen sein kann. Mit der Schnorchelmethode haben Bewirtschafter ein einfaches und kostengünstiges Mittel zur Hand, die Entwicklung „ihrer“ Fischbestände selbst zu untersuchen.


Sterlet-Projekt an der Wiener Donau

In Wien wird der Sterlet-Wildbestand ge­stärkt. Da diese Störart in der Oberen Donau nur mehr vereinzelt anzutreffen ist, wurde eine Aufzuchtstation direkt am Flussufer ge­baut. Über 75.000 Jungfische wurden so schon erfolgreich ausgewildert. Einige dieser Fische haben einen Tracking-Sender implantiert. Dadurch sollen sensible Lebensraumbereiche identifiziert werden, um die bedrohte Art bes­ser schützen zu können.

Das LIFE Sterlet Projekt an der Donau bei Wien züchtet Sterlets und wildert sie danach aus. Bisher wurden 75.000 Jungfische in die Welt gesetzt. Foto: Norbert Novak.


Eine weitere erwähnenswerte Initiative ist das Projekt „Baggersee“ in Niedersachsen, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Universität und Anglerverband. Im Fokus steht die öko­logische Aufwertung von Baggerseen durch die Schaffung von Strukturen wie die Aus­formung von Flachwasserzonen oder Tot­holzeinbringungen. Unter wissenschaftlicher Begleitung wird untersucht, ob die Schaffung solcher Einstände den Fischbestand soweit stärken kann, dass gänzlich auf Besatz verzich­tet werden kann.


Weniger Fischsterben bei Speicherkraftwerken

Obwohl viele Studienergebnisse direkt in den Gewässerschutz einfließen, passiert dies oft­mals unbemerkt von der breiteren Öffentlich­keit, indem „lediglich“ Gesetze, Richtlinien oder Managementpläne adaptiert werden. Ein Beispiel dafür ist die ökologische Verbes­serung von Speicherkraftwerken, die durch Schwall-Sunk-Betrieb dazu führen, dass Jung­fische auf der Schotterbank liegen bleiben. Hier werden in Österreich Grenzwerte für die Pegelrückgangsrate, die in Laborversuchen bestimmt wurden, herangezogen, um die Ef­fekte von verschiedenen Szenarien zu berech­nen.


Ein weiteres Beispiel sind die flussabwärts gerichtete Fischwanderung und die damit verbundenen Auswirkungen der Wasser­kraftnutzung auf Fischpopulationen (denn viele Fische schwimmen durch die Turbinen flussabwärts, was tödlich enden kann). Durch eine Kombination von Labor- und Außenver­suchen sowie Computersimulationen sollen Grundlagen für die Umsetzung von fisch­schützenden Maßnahmen an Wasserkraft­werken geschaffen werden.


Sollten Forschungserkenntnisse in der Maßnahmenplanung umgesetzt werden, er­holen sich auch die Fischbestände wieder. Letztendlich profitieren natürlich wir Fischer davon. Trotzdem ergeht in diesem Sinne ein Appell an die Wissenschaft, Kernergebnisse über Soziale Medien oder Fischereimagazine an die Angler zu kommunizieren. Ein positi­ves Beispiel ist der weit bekannte „Angelpro­fessor“ Robert Arlinghaus. Für seine Wissen­schaftskommunikation, welche vom Anliegen getrieben ist, dass Forschung in der Praxis bei Anglern und Bewirtschaftern ankommt, hat er den „Communicator-Preis 2020“ erhalten. Auf seiner Website ifishman.de finden sich zentrale Botschaften in Form von YouTube-Videos und Comic Strips.


Citizen Science: Bürger als Wissenschaftler

Der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Angelpraxis ist aber keine Einbahnstra­ße. Unter dem Begriff „Citizen Science“ wer­den etwa Projekte zusammengefasst, die unter Mithilfe von oder komplett von interessierten Personen durchgeführt werden. Diese „Bürgerwissenschafler“ melden Beobachtungen, führen Messungen durch oder werten Daten aus.


Zum Beispiel mit der Smartphone-App „Barrier Tracker“. Damit können engagierte Naturliebhaber Wanderhindernisse in Flüs­sen lokalisieren und beschreiben. Mit diesen Daten soll die Zerstückelung europäischer Fließgewässer besser erfasst werden, um mög­lichst wirksame und effiziente Rückbaumaß­nahmen durchführen zu können.

Über die Smartphone-App „Amber Barrier Tracker“ kann jeder Hindernisse eintragen und somit auch als Nicht-Wissenschaftler zum Projekt beitragen.


Ein weiteres Beispiel ist das zuvor erwähn­te Sterlet Projekt in Wien. Dabei sind Donau-Angler dazu aufgefordert, Länge, Gewicht und Fangort von Stören bekannt zu geben. Diese Information soll helfen, mehr über diese ge­heimnisvollen Fische zu erfahren, um sie bes­ser schützen zu können.


Mit vereinten Kräften

Viele Studien sprechen eine klare Botschaft: Zur Etablierung von Best-Practice-Lösungen, die wirklich beim Fisch ankommen, ist die Kooperation von Anglern und Wissenschaft­lern essentiell. Angler sind „die Naturschützer an den Gewässern“, so der Fischereibiologe Arlinghaus. Und somit sind sie die „eigentli­chen Akteure“ und „zentralen Spieler“ in vie­len fischereilichen und gewässerökologischen Projekten.


Im Übrigen, was den zu Anfang angespro­chen Stammtisch anging, ist momentan ein Projekt zum Schutz der Bachforelle in den Startlöchern. Gemeinsam wollen Fischer und Ökologen die Population der „Rotgetupften“, deren Zahlen zuletzt rapide abgenommen ha­ben, genetisch untersuchen lassen und dem Bestand durch Eigennachzucht unter die Arme greifen.

 

Originalartikel publiziert im Fischer Trend Report 2021 von Fisch Ahoi.


Download PDF hier:

Hayes, D. (2021). Vom Elfenbeinturm ans Wasser. Fischer Trend Report 2021 (Austria edition), 2, 63-66.

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